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Wissen, was Ihr Kunde will - bevor er es weiß.
Von Dr. Julia König am 12. März 2019
„Kunden, die diesen Artikel gekauft haben, kauften auch…“. „Unsere besondere Empfehlung für Sie“. „Inspiriert von Ihren Shopping Trends“. Diese und ähnliche Überschriften haben Sie bestimmt schon einmal gelesen, wenn Sie bei Amazon oder bei einem anderen Online-Shop ein Produkt gesucht haben. Und kaum hat man sich versehen, hat man zur benötigten Druckerpatrone noch ein Paket A4 Papier dazu bestellt.
Hinter diesen Vorschlägen stecken komplexe, mathematische Konstrukte, sogenannte Recommender Systeme (Empfehlungsdienste), die automatisiert aus historischem Konsumverhalten Empfehlungen für weitere Käufe generieren.
In diesem Blogartikel gehen wir diesen Recommender Systemen auf den Grund. Wo werden sie eingesetzt? Wie funktionieren sie? Und was wird einem eigentlich vorgeschlagen, wenn man Umzugskartons bestellt? Darauf wären wir nie gekommen!
80% der konsumierten Filme auf Netflix werden über Empfehlungsdienste ausgewählt
Nicht nur Online-Shops, sondern auch andere Unternehmen verwenden exzessiv Recommender Systeme. Ein berühmtes Beispiel dafür ist die Streaming-Plattform Netflix.
Nach Aussagen von Netflix verliert ein typischer Kunde das Interesse, sollte er auf der Suche nach einem Film nicht innerhalb von 90 Sekunden fündig werden (Quelle). In dieser Zeit hat er sich typischerweise etwa 10 bis 20 Titel angesehen. Abgesehen von der Bereitstellung der Inhalte, ist es also eine der wichtigsten Aufgaben von Netflix, jedem Nutzer jederzeit den perfekten nächsten Film auf dem Silbertablett zu präsentieren. Und das klappt dank herausragend entwickelter Recommender Systeme unglaublich gut: 80% der konsumierten Filme auf Netflix wurden dem Benutzer zuvor über einen Empfehlungsdienst vorgeschlagen und wurden nicht aktiv von ihm gesucht.
Auch Buchungsplattformen für Hotelzimmer, Ferienwohnungen oder Flüge stehen unter dem Druck, ihren Kunden möglichst gute Vorschläge für weitere Buchungen zu liefern, um ihre Umsätze zu steigern und ihre Kunden zu binden. Vielleicht haben Sie auch schon nach einer Flugbuchung kurze Zeit später eine E-Mail mit Vorschlägen für geeignete Unterkünfte oder einen Mietwagen erhalten.
Zu wissen, welcher konkrete Vorschlag für den Kunden so interessant ist, dass er noch ein weiteres Mal zuschlägt, ist Gold wert. Sofern man genug Daten über bisherige Käufe und Interaktionen gesammelt hat, können Recommender Systeme genau diese Aufgabe lösen. Und zwar für jeden Kunden individuell.
Wie Recommender Systeme funktionieren
Eingesetzt werden Recommender Systeme seit den 90er Jahren. Sie lassen sich prinzipiell in zwei unterschiedliche Ansätze unterteilen: zum einen in das sogenannte „Inhaltsbasierte Filtern“ und zum anderen in das „Kollaborative Filtern“.
Das Inhaltsbasierte Filtern arbeitet über Ähnlichkeiten zwischen Produkten, hauptsächlich indem es sämtliche verfügbaren Merkmale in Produktbeschreibungen analysiert. Am Beispiel von Netflix funktioniert das so: Filme sind bestimmten Genres zugeteilt, ihre Regisseure und Hauptdarsteller sind bekannt, man weiß wann und in welchem Land sie gedreht wurden und in welchen Sprachen sie verfügbar sind. All diese Merkmale ermöglichen es, Filme in Gruppen einzuteilen und dem Nutzer neue Filme vorzuschlagen, die zur gleichen oder einer ähnlichen Gruppe gehören, aus der er in der Vergangenheit Filme angesehen und gut bewertet hat. Zusätzliche Komplexität entsteht dadurch, dass der Nutzer zu manchen Uhrzeiten, Wochentagen, Jahreszeiten usw. vielleicht andere Filme bevorzugt. Ein guter Empfehlungsdienst bildet diese Muster mit ab.
Das Kollaborative Filtern hingegen bezieht das Kaufverhalten anderer Kunden mit ein. Die Idee dahinter ist, dass Kunden, die sich in der Vergangenheit sehr ähnlich verhalten haben, sich wahrscheinlich auch in der Zukunft ähnlich verhalten werden. Sehr einfach gesprochen, kann man sich unter Kollaborativem Filtern Folgendes vorstellen: Soll beispielsweise für den Kunden Max Mustermann ein Artikel vorgeschlagen werden, so wird analysiert, welche Kunden in der Vergangenheit Produkte gekauft haben, die auch Max Mustermann gekauft hat. Hat ein großer Teil von ihnen ein Produkt gekauft, das Max Mustermann noch fehlt, wird dieses vorgeschlagen.
Kunden, die diesen Artikel kauften, kauften auch …
Eine berühmte Anwendung von Kollaborativen Filtern sind die Vorschläge in Amazons Rubrik „Kunden, die diesen Artikel kauften, kauften auch…“, die es bereits seit 1998 gibt. Fünf Jahre später hat Amazon veröffentlicht, wie ihr Recommendation Algorithmus funktioniert (Quelle). Wir fassen ihn an einem Beispiel kurz zusammen.
Stellen Sie sich vor, wir sehen uns gerade einen Umzugskarton auf Amazon an. Wie wird ermittelt, welche Zusatzprodukte für uns relevant wären?
Ein simpler Ansatz für einen Empfehlungsalgorithmus wäre: Man suche nach einem Produkt, das am häufigsten von Kunden gekauft wurde, die auch einen Umzugskarton gekauft haben. Dieser Algorithmus liefert aber in der Regel nicht das gewünschte Ergebnis. Die Erklärung dafür ist folgende. Die am häufigsten verkauften Produkte bei Amazon sind: HDMI Kabel, Kindle, Bürgerliches Gesetzbuch (Quelle). Es ist gut möglich, dass diese Produkte auch in der Bestsellerliste der Personen sind, die einen Umzugskarton kauften. Doch das Bürgerliche Gesetzbuch beim Kauf eines Umzugskartons vorzuschlagen, entspricht nicht gerade einem guten Cross-Selling Ansatz. Da sind sich wohl alle einig.
Viel entscheidender ist es, Produkte vorzuschlagen, die nach einem Kauf eines Umzugskartons ungewöhnlich häufig gekauft wurden. Zum Beispiel Klebeband, Luftpolsterfolie oder „Vorsicht zerbrechlich“-Aufkleber.
Doch wie erkennt man, ob ein Produkt X ungewöhnlich häufig mit einem Umzugskarton gekauft wird? Dafür müssen zunächst folgende Werte berechnet werden:
Sind beide Werte sehr ähnlich, so gibt es statistisch gesehen keine Korrelation zwischen Produkt X und einem Umzugskarton. Es werden beide Artikel in etwa so oft gemeinsam gekauft, wie man es erwarten würde. Produkt X könnte beispielsweise ein Brettspiel sein. Ist der erste Wert deutlich größer als der zweite, wird Produkt X häufiger mit einem Umzugskarton gekauft, als man es ohne Korrelation erwarten würde. Produkt X könnte beispielsweise ein Klebeband sein.
Amazon berechnet auf diese Weise in regelmäßigen Abständen, welche Produkte ungewöhnlich häufig gemeinsam gekauft werden, und schlägt diese dann in der Kategorie „Kunden, die diesen Artikel kauften, kauften auch…“ vor.
Ungewöhnliche Vorschläge beim Kauf von Umzugskartons
In unserem Beispiel mit den Umzugskartons werden uns auf Amazon neben Klebeband und Luftpolsterfolie interessante weitere Artikel vorgeschlagen: Löffel für Kleinkinder sowie Babyschnuller. Anscheinend kaufen Kunden überdurchschnittlich oft Artikel für Babys und Kleinkinder, wenn sie sich für Umzugskartons interessieren. Wenn man darüber nachdenkt, ergibt dieser Zusammenhang auf jeden Fall Sinn. Aber wir wären (ohne Datenanalyse) nicht so einfach darauf gekommen. Und Sie?
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